Der seit Wochen immer heftiger geführte Disput um die geplante EU Urheberrechtsreform im Netz und den Medien erreichte am vergangenen Samstag seinen vorläufigen Höhepunkt mit der #Artikel13demo in vielen Orten in Europa.
Obgleich die Urheberrechte per Gesetz bereits heute geschützt sind und umfangreich durchgesetzt werden könn(t)en, steht es ausser Frage, dass das Urheberrecht dringend modernisiert werden sollte (das wollen sogar die Reformgegner).
Die Vehemenz und Mittelwahl, mit der die Reform-Befürworter jedoch vorgehen, offenbart allerdings auch, dass es nicht (mehr) nur um den Schutz der Urheberrechte geht. Vielmehr ist dieser Konflikt zu einem Machtkampf um den Kommunikationseinfluss durch Inhalte und den Erlösen daraus geworden.
Auf der einen Seite als Reform-Befürworter stehen die alten Massenmedien und ihre Verwerter-Industrie mit ihrem jahrhundertealten Geschäftsmodell, das sich auch in digitalen Zeiten nicht wirklich geändert hat oder adäquat innoviert wurde. Sinkende Glaubwürdigkeit, Relevanz, Nutzerzahlen sowie schrumpfende Verkaufs- und Werbeerlöse bedrohen ihre Existenz. Und damit auch den Einfluss all derer, die sich der Massenmedien (via PR oder Werbung) als Kommunikationskanal bedienen: Marken, Unternehmen und auch der Politik.
Auf der anderen Seite stehen als Reform-Gegner die neuen Medienmassen – die Nutzer mit all ihren nutzergenerierten Inhalten und fragmentierten Medien(kanälen), deren Zahl und Einfluss unaufhörlich wächst. Ermöglicht durch die technische Innovationen der “Share- und Social-Web-Economy” von hunderten relevanten digitalen Anbietern (angeführt von den “GAFAs“).
Machtkampf Paid Media vs. Earned Media?
Betrachtet man dies im Kontext der neuen (digitalen) Medienmodelle, so ergibt sich daraus der Wettbewerb von (alter) Paid Media Welt (der Massenmedien) gegen die (neue) Earned Media Welt (der Medienmassen).
Paid Media versucht dabei aktuell mit seinen (noch) hohen Reichweiten und der ihr innewohnenden Vorfilterfunktion (Deutungshoheit und Relevanz) über Inhalte (und Lobbyarbeit) Einfluss auf die Gesetzgebung zu erwirken.
Dagegen steht Earned Media – die Vielzahl nutzergenierter Inhalte, in Relevanz vorgefiltert durch die Algorithmen der Share Economy Plattformen – welches im Web bereits heute rund 80% aller Inhalte ausmacht und zudem noch durch die Like- und Empfehlungsfunktion der Plattformen etabliertes Paid Media ausfiltern kann (Filterblase).
Wie mächtig dieses Earned sein kann, zeigte sich sowohl bei der #Artikel13demo letzten Samstag in Europa mit rund 150.000 – 200.000 Teilnehmern auf der Strasse, in der Petition #safetheinternet mit über 5 Mio. Unterschriften wie auch den Diskussionen, Erwähnungen, Live Streams usw. – kurzum den millionenfachen nutzergenerierten Inhalten im Social Web.
Schön erklärt hat diese Situation Prof. Peter Kruse bereits 2011 vor der Internet-Enquete-Kommission des deutschen Bundestages:
Und er hat auch dazu gesagt, wie sie gelöst werden kann: Durch Empathie und Nähe.
Nicht hilfreich dagegen ist, wenn die Reformbefürworter und die etablierte Medienwelt auf diesen Konflikt mit Ignoranz, Verunglimpfungen, falschen Behauptungen oder Fakenews reagieren (Bots, gekaufte Demonstranten, keine oder nur unvollständige Berichterstattung usw.).
Dies ist umso kritischer zu sehen, wenn es sich dabei um renommierte Medien handelt, die eigentlich als “vierte Gewalt” ihrem eigenen Kodex entsprechend ausgewogen, pluralistisch und umfassend berichten sollten.Vor allem auch, da gerade Medien und ihr Qualitätsjournalismus – und das betont ja auch der Text zur Reform – ein durchaus schützenswerten Gut sein können.
Irgendwie erinnert dies alles an die 1968er Zeiten. Man könnte auch sagen, da steht das Establishment der alten Medienwelt gegen eine neue, digitale ausserparlamentarische wie auch aussermediale Opposition.
Politik und die alte Massenmedien agieren dabei aktuell als reaktionäre Kräfte (wieder mal angeführt vom Axel Springer Verlag), welche die Reform quasi als “Schlagstock” einsetzen wollen, um den neu so machtvollen Medienmassen mittels Gesetzgebung ihr Earned Media per Uploadfilter wegzunehmen bzw. es zu reduzieren.
Das Warum ist eigentlich ganz einfach erklärt: Es geht letzlich um die Kontrolle über die Verbreitung (oder Unterdrückung) einflussreicher Inhalte mittels Filter.
In der alten Welt bis ca. 2006 gab es dafür als machtvollen Vorfilter die etablierten Medien. Seit 2006 ist aber ein neuer mächtiger Filter entstanden: Das digitale Netz mit seinen Algorithmen und seinen Nutzern, die als zusätzliche Filterblase wirken, welche für die Verbreitung der von diesen Medienprodumenten erzeugten Inhalten sorgen.
Und dieser Filter ist – zusammen mit einigen der neuen Stars des nutzergenerierten Contents (Influencer als neue Mediengattung) – mittlerweile so einflussreich, dass er sowohl massiv Werbegelder von den alten Medien abzieht als auch die Politik nachhaltig beeinflussen kann.
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