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Warum die Verlage (und die europäischen Politiker) mit ihrem geplanten Leistungsschutzrecht nicht besser sind als der neue Protektionismus von Donald Trump – ein offener Brief von MR. WOM, Media-Prosumer und Earned Media Vertreter.
Zugegeben, dieser offene Brief ist kein „snackable Contentpiece“ und nicht „Mobile-Web-alike“ kurz gehalten. Aber die Länge dieses Textes ist notwendig gewesen, denn MR. WOM ist sehr verärgert über die Bornierheit, Ignoranz und Kurzsichtigkeit deutscher Verleger wie auch der europäischen Politiker, die am 20. Juni das Leistungsschutzrecht auf Europaebene einführen wollen.
Werte Verleger und Europa-Politiker
Im Jahr 1996 fragte MR. WOM einen Bertelsmann-Verlagsmanager, ob es sich denn für seinen Verlag rechnen würde, die gerade im „ach so neuen“ Internet publizierten redaktionellen Inhalte kostenfrei den Lesern zur Verfügung zu stellen, wo doch Printnutzer dafür noch zahlen müssten. Die Antwort des Managers lautete: „Das ist kein Problem, wir werden damit viele neue Leser bekommen und machen die Inhalte dann kostenpflichtig, wenn wir genügend Nutzer „angelockt“ haben. Bis dahin werden wir gutes Geld mit den Werbeeinnahmen verdienen.“
Heute – mehr als 20 Jahre später – bekommen die Verlage die Quittung für ihre damalige Überheblichkeit in mehrfacher Hinsicht: Zum einen bekommen sie den kostenlosen Content-Geist nicht mehr zurück in die Flasche – die digitalen Paywall-Einnahmen fangen bei weitem nicht die sinkenden Vertriebserlöse im Printgeschäft auf. Zum anderen rechnet sich das reine Werbeerlösmodell nicht kostendeckend und ist zudem bedroht durch die noch kommende neue ePrivacy Richtlinie.
Restauration a lá Trump statt Reformation
Statt nun aber weiter echte Innovationen und die Transformation in den Medien ernsthaft voranzutreiben, greifen Verlage und Politik lieber zum Leistungsschutzrecht als Mittel der Restauration, das im digitalen vernetzten Zeitalter des Teilens einen Rückfall ins Mittelalter bewirkt und an den von vielen Verlagen wie auch Politikern kritisierten trump´schen Protektionismus erinnert.
Ganz ehrlich – fällt Euch echt nichts Besseres ein? Macht uns Lesern wie auch Bürgern und Internetnutzern doch bitte nichts vor.
Nur weil Ihr 20 Jahre geschlafen und zugesehen habt, wie sich das Internet entwickelt und Ihr dabei nichts an Euren Geschäftsmodellen („die sind ja sooo Neunziger“) – wie auch dem politischem Management der Digitalisierung – verändert habt, sollen wir Nutzer nun dafür büßen?
Kurz zur Erinnerung:
- Es war nicht unsere Idee, dass Ihr euren hochwertigen Content verschenkt habt. Jetzt haben wir uns daran gewöhnt. Ihr hättet das von Anfang an selber und anders steuern können.
- Es ist auch nicht unsere Schuld, dass ihr es bis heute nicht hinbekommen habt, erfolgreich so etwas wie Spotify oder iTunes für Euren digitalen Content zu entwickeln.
- Ebenso wenig wie wir verantwortlich sind, dass ihr uns Nutzer so lange mit nerviger Werbung bombardiert, sodass wir uns nun davor mit Adblockern schützen.
- Oder, dass ihr keine eigene Suchmaschine entwickelt habt.
- Dass ihr Clickbaiting-Content produziert, der niemanden interessiert
- Oder, dass Ihr uns teils flache oder wenig innovative Inhalte und Formate bietet, sodass wir uns jetzt lieber an den Meinungen unserer Freunde, von Bloggern und Influencern orientieren und uns mehr über diese informieren.
- Und – last but not least – keiner hat Euch (insbesondere den Springer Verlag) gezwungen, eure eigentlich noch gut laufenden und margenträchtigen Printgeschäfte abzubauen oder gar abzugeben und stattdessen nur noch zu 100% hipstermäßig auf „Digital“ zu setzen.
Earned Media vs. Paid Media
Die Verlage wie auch die von ihren Lobbyisten erfolgreich beeinflussten Politiker haben leider weder dem Nutzer zugehört, noch etwas vom Internet und seiner impliziten Sharing- und Link-Ökonomie verstanden. Vielleicht haben sie aber auch schlichtweg Angst vor der Veränderung und Machtverschiebung, die durch die Digitalisierung entstanden.
Angst den Kampf von Paid Media – den traditionellen werbefinanzierten Massenmedien – gegen Earned Media – der Stimme der Medienmassen – zu verlieren. Denn im digitalen Raum gibt es einen neuen König, den Nutzer, den Bürger, den Wähler, den Konsumenten. Und mit ihm jede Menge nutzergenerierte Inhalte – sogenanntes Earned Media.
Jeder kann heute sehr einfach und schnell zum Medium werden und die etablierten Medien ablösen – wie der Influencer-Trend aktuell schön belegt. 80 Prozent aller Webinhalte sind heute schon nutzergeneriert. Jeder teilt Bilder, empfiehlt, erstellt Inhalte und bewertet. Mit jedem Selfie, jeder Bewertung und jedem geteilten Food-Bild steigt der Nutzer-Content weiter an.
Damit wird quasi jeder Nutzer zum „Influencer“, jeder dritte Internetnutzer weltweit bezeichnet sich bereits als „Brand Advocate“ (lt. Google Consumer Barometer) und lt. Studien soll bereits jeder Elfte Deutsche ein „Influencer“ sein.
Und dies hat Auswirkungen auf die Machtverhältnisse – die Macht verschiebt sich vom Anbieter auf den Nachfrager, wie es Prof. Kruse dem Bundestag schon 2011 erklärt hat. Oder wie es im Cluetrain-Manifest bereits 1999 festgehalten und in 2015 noch mal aktualisiert wurde. Aber ihr Verleger und Politiker habt das natürlich nicht gelesen – oder einfach ignoriert.
Wir Nutzer beeinflussen mit unseren geteilten und verlinkten Inhalten die Meinungen und Entscheidungen anderer Nutzer – wirtschaftlich, politisch wie auch beim Medienkonsum. Bereits 2008 sagte ein Mediennutzer der Times, dass er Medien nicht mehr abonniere, denn „wenn eine Nachricht wirklich wichtig ist, wird sie mich über meine Freunde erreichen.“ Damit wirkt das geteilte Earned Media der Massen wie ein Filter, eine Kontrollinstanz, der sich zwischen Sender und Empfänger schiebt und dann für jeden die nun bekannte Filterblase erzeugt.
Dass dies Verlegern und Politikern nicht schmecken kann, ist offensichtlich, denn es bedeutet einen Machtverlust. Es kann ja gar nicht sein, dass jetzt einfach so irgendwelche Nutzer da draussen per Teilen und Verlinkung entscheiden, welche Medieninhalte und politischen Meinungen die Leute erreichen und welche nicht.
Wenn Ihr also ehrlich seid – liebe Politiker wie auch Verlage – dann wollt ihr mit dem Leistungsschutzrecht einfach nur das alte Meinungsmonopol und Sender-Empfänger-Prinzip aufrechterhalten, in dem ihr uns nun das Teilen von Inhalten und damit den innovativen Wettbewerb um die Inhalte verbietet.
Leistungsschutzrecht gefährdet Innovation der Medien
Würden die Verleger und mit Ihnen die Politiker kurz innehalten und nachdenken, würde Ihnen bewusst werden, dass das Leistungsschutzrecht eigentlich die dringend nötige Innovation und Transformation im Mediensektor verhindert.
Nicht nur, dass das Leistungsschutzrecht den Marktplayern in die Hände spielt, die außerhalb Europas ihre Innovationen weiter vorantreiben, allen voran in China und den USA. Beispiele und Argumente hierfür sind schon anderen Stellen genügend aufgeführt worden (hier und hier und hier).
Nein, das Leistungsschutzrecht würde die Verlage zudem in falscher Sicherheit wiegen. Geschützt vor den Veränderungen im Markt würden sie ihre Bemühungen um Innovationen einstellen und müssten sich nicht mehr der nötigen Transformation stellen. Stillstand wäre die Folge, die europäische Medienlandschaft würde weiter abgehängt und wäre – falls das Leistungsschutzrecht ggf. irgendwann gekippt wird – im Wettbewerb hoffnungslos verloren.
Zudem wurde bisher noch kaum beachtet, dass das Leistungsschutzrecht insbesondere auch die gerade neu entstehenden Geschäftsmodelle der Verlage selbst gefährdet.
In den letzten Jahren haben diverse Verlage sogenannte Word-of-Mouth Marketing Angebote aufgebaut (u.a. von Verlagspartnern der VG Media) und tummeln sich neu auch im Influencer Business. Erst vorgestern gab der Springer Verlag selbst eine Kooperation in diesem Bereich bekannt.
Julia Jäckel, Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr (G+J ist übrigens nicht Mitglied der VG Media), präsentierte den neu ausgerichteten Verlag 2015 auf dem Marketingtag in Stuttgart mit den Worten: „Wir machen ab jetzt Paid, Owned und Earned Media“. Starke Worte und eine Vision, die in die richtige Zukunft weist. Allerdings finden sich die neuen G+J Earned Media Bereiche (womit wohl vornehmlich trnd und die webguerillas gemeint waren) im neu geschaffenen Owned Media Bereich der Territory-Gruppe wieder, was irgendwie ein Widerspruch in sich ist.
All diese neuen Marketingangebote basieren darauf, dass Nutzer Produkte ausprobieren, bewerten, Nutzer-Content als Earned Media erstellen und diesen im Internet per Verlinkung teilen. Doch genau daran werden sie nun durch das neue Leistungsschutzrecht gehindert oder zumindest stark eingeschränkt.
Ob das die Verlage wirklich so wollen – oder ist ihnen das ggf. noch gar nicht bewusst?
Ohne Medienmassen gar keine Massenmediennutzung mehr
Auch wenn der Entwurf des Leistungsschutzrechtes vorsieht, dass das einfache Linksetzen und das private, nicht kommerzielle Teilen weiterhin erlaubt bleiben sollen, sind die Nutzer bereits jetzt verärgert bis verunsichert. In diversen Nutzermeinungen zu Artikeln über das Leistungsschutzrecht finden sich schon Kommentare wie „Also die Verlage sollen das gerne durchziehen. Denn dann wird nichts mehr verlinkt.“
Das Teilen von Links durch die Nutzer bietet Verlagen – aber auch Politikern, über die in Medien berichtet wird – dabei eine Menge Vorzüge, die vielen Leistungsschutzbefürwortern wohl gar nicht bekannt sind.
Verlage profitieren nicht nur von Google als Traffic-Lieferanten (nebenbei bemerkt: es ist eigentlich nicht Google, das den Traffic liefert, es sind wir Nutzer, die nach Medieninhalten auf Google und Facebook suchen), sondern vor allem von den vielen Nutzern, die täglich in den sozialen Netzwerken Medienberichte teilen und so für zusätzlichen Traffic sorgen.
Was die Verlage und Medienunternehmen anscheinend vergessen (oder nicht wissen?): Medieninhalte werden sehr gerne von Nutzern geteilt, sie sorgen für Gesprächsstoff und Word of Mouth. Mehr als die Hälfte der Nutzer sprechen über Medieninhalte und Medien, die „Medienbranche“ und ihre „Produkte“ (sprich Inhalte) gehören damit zu den am meisten geteilten Word of Mouth-Kategorien on- und offline überhaupt.
Und nicht nur die Medieninhalte selbst, sondern auch die Werbung in diesen Medien sorgt für zusätzliches Word of Mouth, wie Studien belegen.
Man sägt nicht den Ast ab, auf dem man sitzt. Doch. Stimmt.
Das habt ihr ja schon mal getan. Damals, ihr erinnert Euch. Genau, als ihr Euren wertvollen, teuren Content einfach so im Internet hergeschenkt habt. Und jetzt noch mal?
Also ernsthaft, liebe Verleger (und Politiker) – Ihr wollt uns Nutzern also das Teilen und Verlinken verbieten oder zumindest erschweren – trotz all der Vorteile die Teilen und Verlinkungen für Euch haben?
Na, dann mal zu. Macht ruhig.
Wir Medienmassen verlinken Euch dann einfach überhaupt nicht mehr. Wir nutzen und teilen stattdessen nur noch die Inhalte, die uns unsere Freunde empfehlen und die von diesen produziert wurden. Denen glauben wir eh mittlerweile mehr als Euch. Und ihr bekommt dann die Fakenewsfilterbubble, die Ihr nicht wolltet, Euch aber mit dem Leistungsschutzrecht dann redlich verdient habt.
Eure Nutzer, Leser, Bürger und Wähler.
Dieser Text kann als Creative Common Lizenz CC BY 2.0 von jedem kopiert, verlinkt, geteilt und auch gerne als Inspiration verändert genutzt werden. Es gilt kein Leistungsschutzrecht. Und bezahlt werden muss auch nicht dafür.
Und wer mag, nutzt die Angebote von https://changecopyright.org/de oder https://savethelink.org/de und redet mit seinem EU Abegordneten – oder schreibt direkt Herr Döpfner über den Axel Springer Verlag auf Twitter: https://twitter.com/axelspringer.
MR. WOM freut sich auf Eure Meinungen und Kommentare hier im Blog.